19. Januar 2024 | |
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Thema: | Wirtschaftliche Gerechtigkeit |
located: | Syria, Frankreich, USA |
Von: | Raze Baziani |
Im Jahr 2014, inmitten des syrischen Bürgerkrieges, erlebte die jesidische Gemeinschaft in Syrien und im Irak einen Völkermord. Etwa 400.000 Jesid:innen wurden vom sogenannten Islamischen Staat (IS) vertrieben, über 6.400 wurden versklavt und schätzungsweise 5.000 getötet. Tausende jesidische Frauen und Mädchen, die entführt und als Sklavinnen an IS-Kämpfer verkauft wurden, gelten noch immer als vermisst. Ganze Dörfer wurden zerstört. Die Heimat der Jesid:innen ist bis heute nicht bewohnbar.
Lafarge produzierte weiter in Syrien - als einziges ausländisches Unternehmen
Währenddessen entschied das französische Unternehmen Lafarge, seine Zementfabrik in Syrien weiter zu betreiben - als einziges ausländisches Unternehmen, nachdem andere bereits bis 2012 nach und nach das Land verlassen hatten. Immerhin begann in 2011 in Syrien ein brutaler Bürgerkrieg, der bis heute in vielen Teilen des Landes anhält.
Lafarge ermöglichte seinen ausländischen Mitarbeitenden zwar die Ausreise. Die lokalen Beschäftigten ließ das Unternehmen jedoch weiterarbeiten. Dutzende von ihnen wurden vom IS gekidnappt. Lafarge verhandelte zwar ihre Befreiung, ließ sie aber in einem extrem fragilen Kontext weiterarbeiten. Um die Zementfabrik weiterbetreiben zu können, zahlte die Firma außerdem regelmäßig Schmiergelder an den IS und andere islamistische Gruppierungen wie die einstige Al-Nusra Front. 13 Millionen Euro sollen so über Mittelsmänner in die Hände der Terroristen geflossen sein, in die Bezahlung von Passierscheinen, damit die Beschäftigten den Weg zur Fabrik passieren können. Und in den Ankauf von Rohstoffen wie Öl.
Eine juristische Weltpremiere
All das enthüllte 2016 eine Gruppe von Journalist:innen, was zur Anzeige des Unternehmens durch elf ehemalige syrische Beschäftigte führte. Kurz zuvor war das Unternehmen Lafarge mit dem schweizerischen Unternehmen Holcim fusioniert und so zum größten Baustoffproduzenten der Welt geworden. Lafarge vertrat zuletzt die Auffassung, dass französische Gerichte nicht befugt seien, Menschenrechtsverbrechen im Ausland strafrechtlich zu verfolgen. Die Argumentation wurde jedoch vom Kassationshof in Paris in seinem Urteil vom 16. Januar verworfen. Diese Entscheidung stellt eine juristische Weltpremiere dar. Es ist nämlich das weltweit erste Mal, das ein Unternehmen sich wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten muss. Bislang waren solche Strafverfolgungsverfahren ausschließlich gegen Individuen gerichtet.
Darüber hinaus stand die Frage im Raum, inwiefern Lafarge das Leben seiner Mitarbeiter:innen gefährdete, indem es sie trotz der zunehmend unsicheren Lage in Syrien weiterarbeiten ließ. Dieser Vorwurf wurde jedoch fallengelassen, da französisches Arbeitsrecht in diesem speziellen Fall als nicht anwendbar erachtet wurde.
Lafarge sitzt nicht zum ersten Mal auf der Anklagebank
Es ist aber nicht das erste Mal, dass Lafarge auf der Anklagebank sitzt. In den USA bekannte sich Lafarge bereits im Jahr 2022 der Beihilfe zur materiellen Unterstützung terroristischer Organisationen schuldig und willigte ein, eine Geldstrafe in Höhe von nahezu 778 Millionen US-Dollar an die Vereinigten Staaten zu zahlen. Das Schuldbekenntnis war zu dem Zeitpunkt beispiellos in der jüngeren Geschichte der internationalen Wirtschaftskriminalität. Doch nichts von diesem Geld wurde für Entschädigungszahlungen an die Opfer verwendet.
In der Folge sind in den USA aktuell noch weitere Klagen gegen Lafarge anhängig. Im Dezember 2023 verklagten über 400 Jesid:innen das Unternehmen am Bundesgericht in New York. Die Kläger:innen, darunter auch Nobelpreisträgerin Nadia Murad, werden gemeinsam mit anderen von der renommierten Menschenrechtsanwältin Amal Clooney vertreten. Die Klagen zielen auf zivilrechtliche Entschädigungsforderungen ab, basierend auf Verstößen gegen das amerikanische Anti-Terrorismus-Gesetz, das seit Mai 2014 ausdrücklich jede Zusammenarbeit mit Organisationen wie dem IS untersagt.
In Frankreich hingegen geht es nicht um Verstöße gegen nationale Gesetze, sondern um gravierende Menschenrechtsverletzungen. Das Urteil wirft ein Schlaglicht auf die Rolle von Unternehmen in bewaffneten Konflikten und schafft gleichzeitig eine rechtliche Basis für die Bestrafung von Kriegsprofiteuren. Das Urteil unterstreicht, dass Unternehmen, die in Konfliktzonen agieren und zu schweren Menschenrechtsverletzungen beitragen, zur Rechenschaft gezogen werden können und müssen und sich nicht mit Entschädigungszahlungen freikaufen können.