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Der Kampf mit den Nachwirkungen des Massakers

23. Oktober 2023
Thema:Antisemitismus
located:Israel
Von:Katharina Höftmann Ciobotaru
Rund 200.000 Israelis haben nach Angaben der israelischen Behörden ihr Zuhause verloren. Ein großer Teil von ihnen wurde durch die Massaker der Terrororganisation Hamas aus ihren Häusern vertrieben. Aber auch der Krieg mit der Hisbollah im Norden hat Konsequenzen: Ganze 105 Gemeinden in der Nähe der Grenzen zum Gazastreifen und zum Libanon im Süden und Norden mussten evakuiert werden. Der Rest der Binnenflüchtlinge verließ seine Heimat ohne Anweisung der Armee.

Die vielen Geflüchteten stellen das ganze Land vor logistische Herausforderungen. Allein in die südlichsten Stadt des Landes, in Eilat am Roten Meer, sind 60.000 Menschen geflohen, viele von ihnen aus den Siedlungen an der Grenze zum Gazastreifen. Dadurch hat sich die Zahl der Menschen in der Stadt mehr als verdoppelt. Bis die Ministerien ihre Arbeit aufnehmen, versuchen einzelne Initiativen von Israelis und die Bemühungen der Stadtverwaltung von Eilat, die Bedürfnisse der Evakuierten zu befriedigen, aber der Bürgermeister der Stadt, Eli Lankri, hat davor gewarnt, dass Eilat ohne einen Sonderhaushalt unter der Belastung zusammenbrechen wird.

NICHT GENÜGEND UNTERKÜNFTE

Überall im Land wurden Hotels als Unterkünfte für Flüchtlinge umfunktioniert, aber die Zahl der Zimmer ist begrenzt. Der israelische Hotelverband (Israel Hotels Association, IHA) erklärte, das Angebot an verfügbaren Zimmern gehe zur Neige, und die Organisation bemühe sich „um freie Zimmer im ganzen Land in Übereinstimmung mit den Anforderungen der Regierung“.

Aber das ist nicht die einzige Folge des Krieges, um die sich dringend gekümmert werden muss: Wie das Wohlfahrtsministerium mitteilte, sind die Eltern von 21 Kinder bei den Massakern ermordet worden, Sozialarbeiter des Ministeriums arbeiten daran, alle diese Kinder zu identifizieren und ihnen und ihren Erziehungsberechtigten alle notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen.

GENAUE ZAHL DER GEISELN IMMER NOCH UNKLAR

Währenddessen arbeitet ein Team in Tel Aviv händerringend daran, bei der Identifizierung von Menschen zu helfen, die von der Hamas entführt und in den Gazastreifen verschleppt worden. Die genau Zahl der Geiseln ist immer noch nicht klar. Bei hunderten von Vermissten ist immer noch nicht klar, ob sie ermordet oder verschleppt worden.

Eine Gruppe von rund 300 Freiwilligen aus mehreren israelischen Hightech-Unternehmen durchforstet rund um die Uhr riesige Mengen von in sozialen Medien gepostetem Bildmaterial auf der Suche nach Hinweisen. Die Hamas hatte selbst unzähliges Material von ihren Gräueltaten aufgenommen und verbreitet.

Die Gruppe setzt eine Kombination aus menschlichen Augen und künstlicher Intelligenz zur Gesichtserkennung ein, um die Israelis in verfügbarem Filmmaterial zu erkennen. Die Freiwilligen durchkämmen das Material, das überall gepostet wird, von Telegram und X (früher Twitter) bis zu Facebook und Instagram. Daneben setzt die Gruppe auch Elemente des maschinellen Lernens ein, um Algorithmen zu trainieren, die versuchen, die Entführten zu erkennen. Vor Ort gibt es einen Datenwissenschaftler, der den maschinellen Lernalgorithmus für die Gesichtserkennung betreibt. Diese Person arbeitet mit Freiwilligen aus der ganzen Welt zusammen, die einen speziellen Code geschrieben haben, um bei diesem Vorhaben zu helfen.

Doch auf der Suche nach Informationen über die entführten Israelis müssen Videos durchforstet werden, die häufig schlimmste Gewaltdarstellungen enthalten. Das Projekt hat Psychologen vor Ort, die helfen sollen, das dadurch entstehende emotionale Trauma zu mildern.

FOLGEN DES MASSAKERS FÜR DIE WIRTSCHAFT

Auch die israelische Wirtschaft hat mit den Folgen der Angriffe durch die Hamas zu kämpfen. Die Fox Group, eine der führenden israelischen Einzelhandelsketten, gab kürzlich bekannt, dass sie 30 bis 50 Prozent ihrer Mitarbeiter in unbezahlten Urlaub schicken muss. Der Verband der Handelsketten in der Handelskammer erklärte dazu: „Da das von der israelischen Regierung veröffentlichte Hilfsprogramm keine Unterstützung für die Gehälter der Mitarbeitenden bietet, haben Hunderte von Einzelhandelsketten damit begonnen, Mitarbeiter in unbezahlten Urlaub zu schicken.“

Aber auch die Landwirtschaft ist schwer vom Terror getroffen: Das Gebiet um den Gazastreifen ist als „Israels Gemüsegarten“ bekannt. Nach Angaben von Amit Yifrach, Generalsekretär der Moshavim-Bewegung und Vorsitzender des israelischen Bauernverbands, stammen 75 Prozent des in Israel konsumierten Gemüses, 20 Prozent des Obstes und 6,5 Prozent der Milch aus diesem Gebiet. Außerdem gibt es dort Hühner-, Rinder- und Fischfarmen. Bei den Angriffen der Hamas wurden Bauern und Landarbeiter ermordet, Felder in Brand gesteckt, Vieh und Geflügel blieben unversorgt, und in den ersten Stunden der Kämpfe kam es auch zu schwerwiegenden Problemen bei der Wasser- und Stromversorgung, die zu weiteren Schäden an Tieren und Erzeugnissen führten. Viele Felder sind nicht mehr erreichbar, weil die Armee den Zutritt verboten hat. Und für die Felder, die noch bearbeitet werden dürfen, fehlt das Personal.

Aufgrund des Überraschungsangriffs der Hamas auf Israel hat die Ratingagentur Moody's einen Bericht veröffentlicht, in dem die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges auf Israel analysiert werden. Moody's betont, dass sich dieses Sicherheitsereignis von früheren Operationen unterscheiden wird. In dem Bericht heißt es: „In der Vergangenheit hat Israels souveränes Kreditprofil Widerstandsfähigkeit gegenüber Terroranschlägen und Militäraktionen gezeigt. Ein lang anhaltender Konflikt, der die Wirtschaftstätigkeit und die Politikgestaltung dauerhaft und erheblich beeinträchtigt, würde diese Widerstandsfähigkeit jedoch auf die Probe stellen.“

Artikel geschrieben von:
ecco_katharina_hoeftmann
Katharina Höftmann Ciobotaru
Autor:in
Israel
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Familie und Freunde von Nadav Goldstien und seiner Tochter Yam Goldstien trauern bei ihrer Beerdigung, nachdem sie ermordet und der Rest der Familie während des Angriffs der Hamas auf den Kibbutz Kfar Aza am 23. Oktober 2023 in Shfaiem, Israel, entführt wurden.
© Amir Levy/Getty Images
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Israelische Rettungskräfte suchen am Sonntag, den 22. Oktober 2023, im israelischen Kibbuz Be'eri nach den Leichen von Menschen, die bei einem Angriff von Hamas-Kämpfern getötet wurden.
© Kobi Wolf/Bloomberg via Getty Images
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Menschen nehmen am 22. Oktober 2023 in London, England, an einer Solidaritätskundgebung unter dem Motto "Bring Them Home" auf dem Trafalgar Square teil, bei der die Freilassung der von der Hamas im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln gefordert wird. Nach Angaben der israelischen Regierung hat die Hamas während des Überraschungsangriffs der militanten Palästinensergruppe am 7. Oktober mindestens 222 Geiseln aus Gemeinden im Süden Israels entführt. Die Geiseln, unter denen sich sowohl Israelis als auch ausländische Staatsangehörige befinden, werden im Gaza-Streifen gefangen gehalten. Nur zwei wurden bisher freigelassen.
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