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Fünf Jahre Referendum: Freiheit, ein kurdischer Traum

19. September 2022
Thema:Frieden und Koexistenz
Von:Raze Baziani
In keinem ihrer vier Hauptheimatländer leben Kurd:innen in politischer Freiheit. Vor fünf Jahren sollte sich das für die Autonome Region Kurdistan (ARK) im Irak ändern.

Es war eine überwältigende Mehrheit, mit der sich die kurdischen Menschen am 25. September 2017  bei einem Referendum für die Abspaltung vom Irak aussprachen. Fast 93 Prozent der Stimmberechtigten waren dafür, mehr als jeder siebte Mensch nahm daran teil. Doch bis heute werden diese Stimmen ignoriert.

Damals wurde in traditioneller Tracht auf den Straßen gefeiert, in Wahllokalen geweint, Fremde umarmten sich. Zum ersten Mal in der Geschichte konnten Kurd:innen ihrem Traum von Selbstbestimmung eine Stimme verleihen. Doch was begann wie ein freudiges Ereignis zog gewaltvolle Konsequenzen nach sich. Nach wochenlangen Hetzkampagnen und militärischer Manöver von Ankara, Baghdad und Teheran wurde nach dem Referendum der Finanzhaushalt für die ARK gekürzt, die Flughäfen gesperrt, die Region isoliert. Die irakische Armee riss die umkämpfte Stadt Kirkuk samt ihrer Ölfelder an sich. Tausende Kurd:innen wurden deportiert, ihre Häuser abgebrannt. Eine Praktik, die sich einreiht in die ehemaligen, panarabisch-rassistischen Kampagnen Saddam Husseins zur „Arabisierung“ der Region durch ethnische Säuberungen. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die bis heute nicht vollständig aufgearbeitet wurden.

Einige Stimmen kritisierten am Referendum, es habe diese Reaktionen provoziert. Doch wenn die einst britische Erschaffung des Landes Iraks von Anfang an ein zum Scheitern verurteiltes Projekt war, wie kann dann eine Korrektur der inszenierten Einheitlichkeit ein Fehler sein? Den Kurd:innen die Verantwortung für fremde Reaktionen auf eine friedliche Wahl zuzuschreiben, kommt einer Täter-Opfer-Umkehr nahe. Das Referendum war lediglich eine rechtlich nicht bindende Wahl und sollte als Argumentationsgrundlage für anschließende Verhandlungen dienen. Wenn Menschen ihrem politischen Willen nicht einmal durch eine Abstimmung Ausdruck verleihen dürfen sollen, sprechen wir ihnen nicht ihre elementarsten Menschenrechte ab?

Der Irak steckt auch jetzt wieder in einer tiefen Regierungskrise. Vor wenigen Wochen brachen brutale Proteste in der Hauptstadt aus. Dutzende Menschen kamen dabei ums Leben. Dennoch schlagen, allen voran Internationale Organisationen, die „Wahrung der Stabilität und territorialen Integrität“ des Iraks als Lösung für tief verwurzelte Konflikte vor. Das einzig stabile in dem Land ist jedoch politische Gewalt. Wer entgegen des Willens der Bevölkerung an Einheit festhält, der hält daher unweigerlich auch an der kolonialen Konstruktion des Iraks fest. Möchte man das Scheitern von Baghdad nicht wahrhaben, so können zumindest die Erfolge der Kurd:innen nicht übersehen werden. Nach Jahrzehnten einer gewaltvollen Diktatur, waren sie es, die eine Welt nach westlich-demokratischem Vorbild inmitten des zerstörten Iraks geschaffen haben, die Schutz für Menschen unterschiedlichster ethnischer und religiöser Zugehörigkeit bietet. Seit 2011 fanden über zwei Millionen Menschen Zuflucht in der ARK, die schätzungsweise ursprünglich nur etwas mehr als sechs Millionen Einwohner:innen beherbergte.

Bei diesen Herausforderungen kann die ARK sich aber nicht auf die Zentralregierung verlassen. Als 2014 der IS ausbrach, kürzte sie laut Angaben der Weltbank die Finanztransfers in die kurdische Region um 90 Prozent. Die irakische Armee floh, überließ dem IS ihre US-gefertigten Waffen und hinterließ die Kurd:innen beim Kampf gegen die Terrormiliz allein. Anhaltende, grenzüberschreitende Militärangriffe der Türkei auf kurdische Zivilist:innen werden von Baghdad nicht geahndet. Erst als im Juli irakisch-arabischstämmige Menschen einem türkischen Artilleriebeschuss zum Opfer fielen, wurde eine UN-Sicherheitsratssitzung einberufen, die Hinterbliebenen finanziell entschädigt sowie ein Nationaltrauertag ausgerufen. Alles richtig und wichtig, der Zentralirak misst allerdings mit zweierlei Maß. Seiner Schutzpflicht kam er bisher nämlich nicht nach, als es um die vielen zivilen, kurdischen Opfer türkischer Operationen oder des IS Terrors ging. Kurd:innen sind bis heute gesellschaftlichen Ressentiments durch die arabisch-irakische Bevölkerung ausgesetzt, selbst in den von ihnen bewohnten und regierten Gebieten.

Angesichts der diversen Konfliktlinien an denen sich das politische Schicksal der Kurd:innen entscheidet, ist für sie politische Freiheit nicht in Sicht. Die Auseinandersetzung mit ihrer Selbstbestimmung bleibt aber für künftige Friedensbestrebungen unausweichlich. Schließlich gilt: Kein Frieden ohne Freiheit und keine Freiheit ohne Frieden.

Artikel geschrieben von:
Raze Baziani
Autor:in
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