20. April 2023 | |
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Thema: | Frauenrechte |
Von: | Katharina Höftmann Ciobotaru |
Die Tatsache, dass Stuckrad-Barre diese privaten Nachrichten für eine Enthüllungsgeschichte freigab, die dem Springer-Verlag nachhaltig schaden würde, bedeutet auch das Ende der Freundschaft zwischen Stuckrad-Barre und Döpfner. Eine Freundschaft die unter anderem in den 10 Jahren der Zusammenarbeit aufgebaut wurde. Eine freundschaftliche Zusammenarbeit, bei der Stuckrad-Barre für ein Gehalt arbeitete, von dem bis heute gemunkelt wird, dass kaum ein angestellter Schreiber einer Zeitung jemals so viel verdiente (40.000 Euro monatlich sollen es gewesen sein, was eine geradezu absurde Zahl ist, wenn man bedenkt, dass Die Welt freien Autor:innen in der Regel 2 Euro pro Zeile zahlt).
Reichelt und Springer sind Deutschlands erster echter Me-Too-Fall
Mit Julian Reichelt und dem Springer-Verlag hat Deutschland nun seinen ersten richtigen, über einen extrem langen Zeitraum hochköchelnden, Me-Too-Skandal. Zwar wurde Julian Reichelt schon im Oktober 2021, als direkte Reaktion auf den New-York-Times-Artikel, entlassen, aber so richtig schien die Geschichte um den Chefredakteur, der angeblich diverse Liebschaften mit Mitarbeiterinnen unterhielt, die sich natürlich zu ihm in einem Abhängigkeitsverhältnis befanden, Springer nicht zu schaden. Die Tatsache, dass der Springer-Verlag, inklusive Döpfner und inklusive Stuckrad-Barre, ebenfalls lange vor der New-York-Times-Enthüllungsstory von den Anschuldigungen wussten, wird jetzt eigentlich nur Döpfner zu Lasten gelegt.
Passend zur Buchveröffentlichung werden private Nachrichten geleakt
Pünktlich zur Stuckrad-Barre-Buchveröffentlichung sind nun auch noch eine ganze Menge private Whatsapp-Nachrichten geleakt worden, in denen Döpfner sich ziemlich aggressiv und polemisch über Ossis, Muslime und die deutsche Politspitze auslässt. Ob diese geleakten Nachrichten nun Teil der Stuckrad-Barre-Buch-PR sind oder nicht, ist den meisten, die sich nun über die Machenschaften des größten Medienhauses Europas echauffieren, im Prinzip egal. Es ist aber nicht egal.
Man könnte diese ganze Geschichte nämlich auch einmal ganz anders erzählen: In einer der größten deutschen Zeitungsredaktionen sitzt ein Chef, der links und rechts Affären mit Mitarbeiterinnen anfängt. Sie zum Teil mit anzüglichen Nachrichten belästigt und sich selbst dann, wenn es sich um einvernehmlichen Sex gehandelt haben sollte, offensichtlich nicht darum schert, dass solche Affären in seiner Machtposition moralisch-ethisch falsch sind. Ziemlich viele Menschen in der Medienbranche, aber vor allem auch in dem Verlag selbst, wissen davon. Dazu gehören ein Starautor des Verlags und der oberste Chef desselben Verlags. Alle tun erst einmal nichts. Das geht eine ganze Weile so weiter, bis die amerikanische Zeitungselite Wind von der Geschichte bekommt und selbst einen guten Grund hat, sie aufzurollen. Jetzt wo die Amerikaner dran sind, fällt zumindest schon mal der Starautor und bricht mit dem Verlag. Anderthalb Jahre später kommt vom selben Starautor ein angeblich fiktiver Roman heraus, der mit weiteren Enthüllungsgeschichten um den Skandal herum flankiert wird.
Bisherige Me-Too-Fälle verliefen im Sand
Es ist richtig und wichtig, dass Deutschland endlich mal einen Me-Too-Fall hat, der diskutiert wird (die bisherigen Me-Too-Fälle im Land, wie der um den Regisseur Dieter Wedel oder den Moderator/Comedian Luke Mockridge sind jeweils relativ schnell wieder im Sande verlaufen) und es ist richtig und wichtig, dass das seltsame Journalismus-Bild des Springer-Verlags angezweifelt wird. Aber: Systematisch ist an dieser ganzen Debatte bisher gar nichts. Es kann doch niemanden geben, der glaubt, dass es Julian Reichelts und Döpfners nur bei Springer gibt und nicht potentiell genauso beim Spiegel, der Zeit, beim Bertelsmann-Konzern oder der FAZ oder oder oder. Stattdessen wird nun auf den eh schon bei der linken intellektuellen Elite verhassten Springer-Verlag eingeprügelt, stattdessen wird ein männlicher Starautor für sein Me-Too-Buch gefeiert, von dem doch am Ende vor allem einer profitiert: Nämlich er.
Währenddessen sitzen die Frauen, die sich damals, schon lange vor dem New York Times-Artikel, versucht haben, gegen einen übergriffigen Chefredakteur zu wehren, an der Seitenlinie und sind mehr oder weniger zum Zuschauen verdammt. Einige von ihnen haben ihren Job verloren, einige wurden ins Ausland befördert, keine hat einen Enthüllungsroman geschrieben. Weibliche Vertreter der Branche haben bis auf ein paar Medienbeiträge, ein Podcast, ein Fernsehbeitrag, ein oder zwei Buchkritiken, bisher wenig zu dem Thema gesagt. Vielleicht weil sie ahnen, dass eh keiner ihre Meinung hören will, oder weil sie fürchten, sich selbst die Karriere zu versauen, wenn sie zu scharf in die Diskussion mit einsteigen. Den bis dato größten Me-Too-Skandal in Deutschland machen aktuell Männer alleine unter sich aus. Sie sind die Verlierer, ja, aber eben auch die einzigen Gewinner.
Anm. d. Red.: Die Autorin dieses Artikels hat selbst in den Jahren 2007 bis 2008 und zwischen 2010 und 2021 für diverse Publikationen und Abteilungen des Springer-Verlages als Praktikantin, Diplomandin und später freie Journalistin gearbeitet.