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Demokratische Republik Kongo: Der tödlichste Konflikt seit dem Zweiten Weltkrieg

30. November 2023
Thema:Menschenrechte
located:Democratic Republic of the Congo
Von:Raze Baziani
Es handelt sich um den tödlichsten Konflikt der Welt seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Nahezu sechs Millionen Menschen haben ihr Leben infolge von bewaffneten Auseinandersetzungen in den vergangenen 25 Jahren in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) verloren und mindestens ebenso viele wurden vertrieben. Gründe dafür sind eine unbeständige Regierung und eine konfuse Situation mit über hundert bewaffneten Gruppen im Land sowie die historische Feindschaft mit dem benachbarten Ruanda. Nicht zuletzt sind Vertreibung und politische Gewalt in der DRK auch eng mit dem massiven Abbau von Konfliktmineralien und damit mit einer globalen Verantwortungslosigkeit verbunden.

Im Kongo war lange Zeit die weltweit größte UN-Friedensmission mit über 17.000 Blauhelmen stationiert. Zahlenmäßig wurde die Mission gerade erst von derjenigen im Südsudan überholt. Verbessert hat sich die Lage in der DRK jedoch nicht. In den vergangenen Jahren entfachten immer wieder heftige Kämpfe in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu und Ituri an den Grenzen zu Uganda, Ruanda und Burundi. Seit einigen Wochen toben erneut Gefechte zwischen den kongolesischen Streitkräften und der Rebellenbewegung M23, die mittlerweile große Landflächen im Osten der DRK kontrolliert. Human Rights Watch weist auf Massenvergewaltigungen und großflächige Hinrichtungen durch die M23-Rebellen hin. Alleine im Dorf Kishishe sollen dieses Jahr über 14 Massengräber mit den Leichen von Dorfbewohnern entdeckt worden sein.

Die kongolesische Regierung wirft Ruanda vor, die M23 militärisch und finanziell zu versorgen. Ruanda wiederum beschuldigt die DRK, die Hutu-Miliz FDLR zu unterstützen, die sich gegen die ruandische Regierung auflehnt. Beide Länder bestreiten die Anschuldigungen. Beide Dementi stehen jedoch auch im Widerspruch zu Analysen von UN-Expert:innen, die belegen, dass es Einflussnahme von beiden Seiten gibt. Insbesondere die Beweise gegen Ruanda wiegen schwer. Nun wurden seit dem letztem Jahr immer wieder Zusammenstöße zwischen den kongolesischen und ruandischen Streitkräften registriert. Verschiedene internationale Vermittlungsversuche scheiterten. Zunehmende militärische Aufrüstung und das Fehlen eines direkten Dialogs auf hoher Ebene geben Anlass zur Sorge, dass sich der Konflikt regional ausweiten könnte.

Laut dem kongolesischen Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege ist der Krieg im Osten der DRK der am wenigsten beachtete der Welt. Eine ähnliche Ansicht teilt auch der Norwegische Flüchtlingsrat, der jedes Jahr einen Bericht über die zehn am meisten vernachlässigten Vertreibungskrisen der Welt veröffentlicht. Einige der in dem Bericht aufgeführten Länder haben es nie von der Liste geschafft, darunter die Demokratische Republik Kongo. Mit 6,9 Millionen Menschen, die durch Konflikte entwurzelt wurden, hat das Land die höchste Zahl an Binnenvertriebenen weltweit. Nach Angaben des Amtes für humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen waren allein seit dem ersten Oktober dieses Jahres rund 200.000 Menschen gezwungen, aus ihren Häusern zu fliehen.

Die Besorgnis über das mangelnde internationale Interesse an der Lage in der DRK teilen auch andere Expert:innen und verweisen auf eine angespannte Stimmung im Land. In einem Video, das vor Kurzem auf X (vormals Twitter) viral ging, ist ein kongolesischer Mann in der Hauptstadt Kinshasa zu sehen, der ein Schild mit der Aufschrift „Stop the Genocide in Congo“ in der Hand hält. Er übergießt seinen Körper mit Benzin und zündet sich dann mit einem Streichholz an, während er die Hilfe der umherstehenden Menschen abwehrt. Ein verzweifelter Akt, um mehr Aufmerksamkeit auf die Situation in Kongo zu lenken. Über den Zustand des Mannes ist nichts weiteres bekannt. 

Die Situation in der DRK wird durch viele interne als auch externe Faktoren verschärft, sagte die internationale Umweltanwältin Augusta Goussoutou in einem Gespräch mit Fairplanet. Ihrer Meinung nach leben die Menschen in der Region im Schatten brutaler politischer Gewalt, die ihre Wurzeln in der Kolonialzeit hat. Goussoutou erwähnt, dass es nach wie vor Streitpunkte mit Ruanda bezüglich der während der Kolonialzeit geschaffenen Grenzen gibt. Tatsächlich berief der ruandische Präsident Paul Kagame in der Vergangenheit immer wieder auf das „verlorene ruandische Territorium“, das an die DRK und Uganda „abgegeben worden ist“. Darüber hinaus steht das angespannte Verhältnis auch im Zusammenhang zum Völkermord von 1994, bei dem die Hutus in Ruanda im Laufe von nur 100 Tagen über 800.000 ethnische Tutsi ermordeten. Der Völkermord endete, als die Ruandische Patriotische Front (RPF), eine von Tutsi dominierte Rebellengruppe, unter der Führung des heutigen Präsidenten Kagame das Land zurückeroberte. Dies führte dazu, dass viele Hutus aus Ruanda in die Nachbarländer flohen, insbesondere in die Demokratische Republik Kongo. Unter den Flüchtenden befanden sich auch viele der für den Völkermord Verantwortlichen, die nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, sondern sich in der Grenzregion zu Ruanda neu organisierten.

Die Spannungen zwischen den beiden Ländern bestehen mithin schon lange. 1996 und 1998, fanden die beiden Kongo-Kriege statt. Zusammen mit anderen afrikanischen Staaten marschierte Ruanda in die DRK ein. Millionen von Menschen starben in Folge des Konflikts. Viele unbeteiligte Zivilist:innen wurden vertrieben und konnten aus Angst vor neuen Unruhen nicht in ihre Heimatregionen zurückkehren. Für ihre erlittenen Verluste wurden sie nie entschädigt und die Verantwortlichen wurden nie systematisch zur Rechenschaft gezogen, obwohl die Namen der Täter teilweise öffentlich bekannt waren. So wie in dem Fall des ehemaligen Oppositionsabgeordneten und späteren Rebellenführers Roger Lumbala, dem unter anderem zahlreiche Morde, Fälle von Vergewaltigungen und Kannibalismus vorgeworfen werden. Auf seine Verantwortung wies ein UN-Bericht bereits im Jahr 2003 hin. Trotzdem wurde Lumbala nach dem Zweiten Kongokrieg zwischen 2004 und 2005 zum Handelsminister der Übergangsregierung der DRK ernannt. 2016 wurde er in Frankreich inhaftiert. Auf der Grundlage des Prinzips der universellen Gerichtsbarkeit ordnete ein französisches Gericht nun Anfang November den Prozess gegen Lumbala wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein. 

Nach so vielen Jahren wird diese Anklageschrift den Menschen in der DRK vielleicht keine Wiedergutmachung bieten. Dennoch ist der Prozess ein wichtiger Beitrag zur Aufklärung und ein deutliches Signal für die Zukunft, dass Gewalt gegen die kongolesische Zivilbevölkerung nicht für immer folgenlos bleiben wird. Denn die Menschen im Ostkongo werden regelmäßig nicht bloß zufällig Opfer von politischer Willkür. Vielmehr kann die gegen sie gerichtete Gewalt als eine strategische Methode der Vertreibung in der Region angesehen werden, die den Zugang zu wertvollen Ressourcen und deren Transport erleichtern soll. 

Die DRK beherbergt viele Rohstoffe, vor allem solche, die für die sogenannte grüne Energiewende von immenser Bedeutung sind. Über neunzig Prozent der weltweiten Kobaltvorkommen befinden sich hier. Das Land liefert mehr als zwei Drittel des Kobalts für die globale Produktion von Lithium-Ionen-Batterien, die in fast jedem massenproduzierten Handy, Laptop oder E-Auto enthalten sind. Außerdem wird ein Großteil der orthopädischen Implantate aus einer Kobalt-Chrom-Legierung hergestellt. Dennoch ist es China, das über siebzig Prozent des weltweiten Kobalts verarbeitet. Wissenschaftliche Studien zeigen außerdem, dass kaum ein Implantat in die DRK zurückkehrt und Kongoles:innen nicht vom medizinischen Fortschritt profitieren. Stattdessen wird das Land seiner natürlichen Rohstoffe beraubt. Die zwei größten Kupfer-Kobalt-Minen, die gleichzeitig die zwei größten Tagebaugruben Afrikas sind, gehören dem schweizerischen Unternehmen Glencore. 15 der 19 größten Kupfer-Kobalt-Minen in der DRK befinden sich in chinesischer Hand. In vielen Fällen sind es aber kongolesische Kinderhände, die für den Abbau der Rohstoffe sorgen. Denn über zwanzig Prozent des Kobalts wird von einfachen Sammler:innen unter lebensgefährlichen Bedingungen in ungesicherten Minen ausgegraben. Immer wieder brechen Minen ein und vergraben die Menschen lebendig. Durch den Bergbau schwinden die Wasserressourcen in den Abbaugebieten und belasten die Umwelt enorm. Obwohl die Bergbauunternehmen nach kongolesischem Recht verpflichtet sind, dafür zu sorgen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen erhalten bleiben, übernehmen sie keine Verantwortung. Stattdessen gibt es Berichte über Missbrauch an den Bergarbeiter:innen und eine miserable Entlohnung. Fast alle bekannten Menschenrechtsorganisationen weisen auf massive Verstöße gegen Menschenrechte der Kongoles:innen hin, die mit dem Abbau von Rohstoffen verbunden sind und dazu bewaffnete Konflikte befördern. Denn die Rohstoffvorkommen befinden sich zwar im Südosten der DRK, wo es weniger Konflikte gibt. Ihre Transportwege führen aber auch über den Nordosten des Landes. Erst kürzlich genehmigte der kongolesische Präsident Félix Tshisekedi den Bau von Verbindungsstraßen zwischen Uganda und der DRK im Nordosten des Landes. Auf die massiven Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung folgen demnach Pläne zur ökonomischen Nutzung der betroffenen Gebiete.

Die Realität der „Cleantech“ Industrie ist alles andere als sauber. Und während die Nachfrage nach kritischen Mineralien weiter steigt, schwindet das Bewusstsein für die globale Verantwortung hinsichtlich der Verstöße gegen die Menschenrechte nicht nur im Schatten der Freude an den neuen Technologien. Nein, in Fällen wie der Demokratischen Republik Kongo ist sie nicht einmal vorhanden.

Artikel geschrieben von:
Raze Baziani
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Ein Polizist posiert neben Anhängern des kongolesischen Arztes und Präsidentschaftskandidaten Denis Mukwege während einer Wahlkampfkundgebung in Bukavu, der Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu im Osten der Demokratischen Republik Kongo, am 25. November 2023. Denis Mukwege, ein Nobelpreisträger für Gynäkologie, hielt am 25. November eine Kundgebung in seiner Heimatstadt ab und versprach, im Falle seiner Wahl zum Präsidenten gegen Korruption und Konflikte vorzugehen. In der DR Kongo finden am 20. Dezember 2023 Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt, bei denen 23 Kandidaten für das Amt des Präsidenten kandidieren. Das politische Klima ist angespannt und die Kämpfe im Osten des Landes halten an.
© ALEXIS HUGUET/AFP via Getty Images
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Durch den Konflikt vertriebene Menschen hören einer Rede der UN-Delegation in Komanda, Provinz Ituri, im Osten der Demokratischen Republik Kongo, zu, 30. August 2023. In der Demokratischen Republik Kongo gibt es über 6 Millionen Binnenvertriebene, von denen die meisten in Ituri, Nord- und Süd-Kivu leben.
© GLODY MURHABAZI/AFP via Getty Images
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Generalleutnant Otávio Rodrigues de Miranda Filho, Force Commander der Mission der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo (R), spricht mit einem Oberst der kongolesischen Armee während einer Feldübung in Sake, im Osten der Demokratischen Republik Kongo, am 06. November 2023. Die UN-Friedenstruppen in der Demokratischen Republik Kongo kündigten am 3. November 2023 eine gemeinsame Operation mit der nationalen Armee an, um die M23-Rebellen an der Einnahme wichtiger Städte im Osten des Landes zu hindern.
© GLODY MURHABAZI/AFP via Getty Images
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Arbeiter, darunter auch Frauen und Kinder, arbeiten in einer Kobaltmine, die unter sehr schlechten Bedingungen, ohne jegliche Vorsichtsmaßnahmen und ohne jegliche Kontrolle durch eine Behörde, im Gebiet von Mwenga in der Provinz Süd-Kivu in der Demokratischen Republik Kongo betrieben wird.
© Augustin Wamenya/Anadolu Agency via Getty Images
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