12. Oktober 2022 | |
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Thema: | Frauenrechte |
Von: | Raze Baziani |
Dass insbesondere Frauen die Proteste anführen verwundert nicht. Denn beim Thema der weiblichen Selbstbestimmung pervertiert sich die staatliche Entmündigungspolitik des iranischen Regimes besonders deutlich. Die Entscheidungsgewalt einer Frau in Iran obliegt in allen wichtigen Lebensbereichen Männern, zunächst ihrem Vater, später ihrem Ehemann. Frauen müssen sich ab dem neunten Lebensjahr ein Leben lang an Verschleierungsvorschriften im öffentlichen Raum halten, gelten zwei Jahre vor Jungen, bereits mit ihrem dreizehnten Geburtstag als ehefähig und begegnen im Laufe ihres ganzen Lebens vorgeschriebener Fremdkontrolle.
So können sie einen Reisepass nur mit der Zustimmung ihres Vaters oder Ehemannes beantragen, ihr Job kann ihnen von ihren Ehemännern mit gerichtlicher Zustimmung untersagt werden. Männer können sich in Iran stets scheiden lassen, Frauen nur unter bestimmen Voraussetzungen. Das Sorgerecht für ihre Kinder verlieren sie im Falle einer Scheidung automatisch. Bei Jungen mit zwei, bei Mädchen mit sieben Jahren. Und wo ist Justitia, wenn Frau sie einmal braucht? Tatsächlich ist nicht nur die Justiziabilität solcher Praktiken in Iran durch eine diskriminierende Gesetzgebung eingeschränkt, sondern auch durch die Besetzung der Judikative. Denn das Richter:innenamt ist lediglich Männern zugänglich. Alleine bei familienrechtlichen Angelegenheiten dürfen Frauen beratend tätig werden. Vor Gericht ist die Zeugenaussage einer Frau auch nur halb so viel Wert wie diejenige eines Mannes.
Entsprechend hat Iran die UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW), die Selbstverpflichtung staatliche Diskriminierung zu beseitigen, als eines von wenigen Ländern nicht unterzeichnet. Umso grotesker ist es, dass das Regime derzeit Teil der Frauenrechtskommission der UN ist, dem höchsten internationalen Gremium zur Gleichstellung der Geschlechter.
Strukturelle Entrechtung in Iran betrifft jedoch nicht nur die weibliche Geschlechtsidentität. Im Kern berühren viele Vorschriften die Frage danach, zu welchem Menschen einen das System zwangsweise macht: zum „schwachen Geschlecht“, zum „Menschen zweiter Klasse“, zur „kriminellen Minderheit“.
Am Schicksal von Jina Amini wird die Überschneidung verschiedener Dimensionen von Unterdrückung in Iran deutlich. Die junge Frau war als Kurdin Teil einer ethnischen, als auch religiösen Minderheit die laut vielen internationalen Menschenrechtsorganisationen in Iran strukturell diskriminiert und ausgebeutet wird. Minderheiten, wie beispielsweise auch die Bahai, werden in Iran als „anders“, inferior gekennzeichnet und zu Ausgestoßenen, einer Art Paria erklärt. Ihre legitimen Ansprüche auf gesellschaftliche und politische Teilhabe werden negiert.
Hinzu kommt, dass Minderheiten, vor allem Afghan:innen, auch gesellschaftlich zur Schau gestellter Xenophobie begegnen. Das Wort „Afghani“ wird in Iran nicht selten als Beleidigung verwendet.
Benachteiligte Gruppen leben in verarmten und vernachlässigten Regionen in denen elementare Infrastruktureinrichtungen wie Krankenhäuser fehlen. Afghanische Migrant:innen dürfen sich beispielsweise legal nur in wenigen Provinzen des Irans aufhalten, was den Zuzug in die Metropolen verhindern soll und sie in ihrer Armutsspirale gefangen hält.
Minderheiten in Iran genießen zwar kulturelle Freiheiten, können zum Beispiel ihre eigene Sprache sprechen, diese aber nicht in Schulen lehren. 2019 wurde eine 28-jährige Frau zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil sie ehrenamtlichen Kurdischunterricht gab. Solche Fälle sind Teil eines Puzzles wodurch die Identität vieler sozialer Gruppen zur Rechtfertigung einer rassistischen Staatsdoktrin kriminalisiert wird. Das Leben in Armut und Ausgrenzung erlaubt es nicht sich aus administrativer oder polizeilicher Willkür „herauszukaufen“, wie es das die Teheraner High Society kann.
Entsprechend sind Angehörige von Minderheiten in der Todesstrafenstatistik überrepräsentiert, werden oft ohne juristische Grundlage festgenommen, ohne Rechtsbeistand und unter Folter zu Geständnissen gezwungen. Wenn Todesurteile vollstreckt werden, werden ihre Familien nicht informiert. Laut der norwegischen NGO Iran Human Rights sind vor allem Kurd:innen in Kriminalstatistiken überrepräsentiert. Dabei machen sie schätzungsweise nur etwas mehr als zehn Prozent der Bevölkerung in Iran aus.
Die Niederschlagung der Proteste mit roher Gewalt trifft die von Minderheiten bewohnten Gebiete daher in dieser Zeit besonders hart. Unserer Aufmerksamkeitsökonomie und der staatlichen Abschottung dieser Regionen geschuldet schaffen es jedoch eher Bilder von tanzenden Frauen in hiesige Nachrichten.
Die Bedeutungslosigkeit von Minderheiten spiegelt sich in der fehlenden politischen, als auch medialen Aufmerksamkeit wieder. Schließlich konnte ihr Leid auch in der Vergangenheit keine landesweite, gar internationale Solidarisierungswelle auslösen. Dabei geht es für Minderheiten in Iran längst nicht mehr alleine um Systemwandel wie es bisher teilweise reduktionistisch geframed wurde, sondern einmal mehr um das bloße Überleben.
Der Name Mahsa Amini ging diese Wochen um die Welt. Mahsa, „schön wie der Mond“. Das war aber nur der offizielle Name der jungen Frau, ein Mensch der sie für das System sein musste. Aus Sorge vor Ungleichbehandlung und weil iranische Behörden nicht jeden Namen akzeptieren, müssen viele Menschen ihre eigentliche Identität hinter einer anderen verstecken. Jina, der richtige Name der Ermordeten, steht nun auf ihrem Grabstein. Jina, kurdisch für „Leben“, darf sie tot nun offiziell sein.
Die vielen Dimensionen der Repression in Iran, die Entrechtung der Frauen, das ungesehene Leid von LGBTQIA+ Menschen, die prekären Lebensbedingungen vieler Minderheiten - es ist schwierig respektive unmöglich ihnen mit wenigen Worten gerecht zu werden. Was sie jedoch eint sind die tiefen Wunden, die das entmenschlichende System der Islamischen Republik hinterlässt. Ein Schmerz, der die größten Proteste Irans seit Jahren auslöste und als Zäsur in die Geschichte des Landes gehen wird.