11. Januar 2022 | |
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Thema: | Frauenrechte |
tags: | #Gewalt, #Frauen, #Häusliche Gewalt, #Femizid |
Von: | Sarah Kessler |
Was in den Medien häufig als „Familiendrama“ oder „Beziehungstat“ bezeichnet wird, hat einen klaren Namen: Femizid. In Deutschland versucht statistisch gesehen jeden Tag ein Mann, seine (Ex-)Partnerin zu töten. Alle zweieinhalb Tage gelingt es ihm. Ursächlich ist die mangelnde Gleichstellung der Geschlechter. Zu diesem Schluss kommen auch die Autorinnen Laura Backes und Margherita Bettoni, die der Frage, weshalb Femizide geschehen, das Buch „Alle drei Tage“ gewidmet haben. Nun mag der Einwand kommen, Frauen und Männer seien in Deutschland doch längst gleichgestellt. Aber weit gefehlt: Patriarchale Strukturen bestimmen das gesellschaftliche Zusammenleben. Werte, Konventionen und soziale Beziehungen werden von Männern kontrolliert und Femizide bilden lediglich die tragische Spitze des misogynen Eisbergs. Gewalt gegen Frauen tritt unabhängig vom sozioökonomischen Hintergrund überall auf. Studien haben gezeigt, dass es keine speziellen Milieus gibt, in denen häusliche Gewalt überproportional häufig vorkommt. Femizide können also jede Frau treffen. Jede!
Dem Töten voraus gehen misogyne Verhaltensmuster, die dafür einen wunderbaren Nährboden bilden. So steht etwa ein Drittel aller in Deutschland verübten Femizide im Zusammenhang mit einer Trennung – meistens, weil der Mann den Kontrollverlust nicht verkraften kann. Trotz der gravierenden Zahlen ist die öffentliche Aufmerksamkeit bezüglich Femizide erstaunlich gering. Das ist z.B. in Spanien anders. Dort wird regelmäßig über eben diese Taten berichtet. Spanien gilt in Europa als Vorreiter in der Bekämpfung von Femiziden. Bereits 2004 hat die spanische Regierung das Bekämpfen von häuslicher Gewalt zur Staatsaufgabe gemacht und damit die strukturelle Dimension anerkannt – bei Femiziden handelt es sich nämlich keineswegs um Einzelfälle. Diese Erkenntnis spiegelt sich in Spaniens Politik wider – und das nicht ohne Erfolg: Gemessen an der Einwohner*innenzahl wurden in Spanien 2020 anderthalb mal weniger Femizide verübt, als in Deutschland (Spanien: 48 Femizide bei 47,35 Mio. Einwohner*innen; Deutschland: 139 Femizide bei 83,24 Mio. Einwohner*innen).
Im europäischen Vergleich liegt die Femizidrate von Deutschland im Mittelfeld. So wurden in Österreich (31 Femizide bei 8,917 Mio. Einwohner*innen) und in der Schweiz (28 Femizide bei 8,637 Mio. Einwohner*innen) 2020 mehr als doppelt so viele Femizide pro Einwohner*innen verübt, als in Deutschland. Hier zeigt sich das Gegenteil vom spanischen Beispiel: strukturelles Versagen auf politischer Ebene. Denn dort fehlt es den Behörden an Handhabe, rechtzeitig Maßnahmen zum Schutz der Opfer zu ergreifen. Das ist auch in Deutschland ein Problem. Es mangelt an präventiven Maßnahmen. Zwar gibt es das Instrument der Gefährderansprache, bei dem die Polizei einem potenziellen Täter darauf hinweist, dass ihr die Gefahr, die von ihm ausgeht, bewusst ist und ihn über die Konsequenzen aufklärt, sollte er tatsächlich straffällig werden. Allerdings zeigen sich Täter davon in der Regel unbeeindruckt. Eingreifen kann die Polizei erst, nachdem eine Straftat verübt wurde. An einem wirksamen Maßnahmenpaket, dass Opfer vor Partnerschaftsgewalt schützt, fehlt es bisher. Täter haben also wenig zu befürchten – bis eine stirbt.
Was sagt die Häufigkeit von Femiziden und Gewalt gegen Frauen in Deutschland nun über unsere Gesellschaft aus? Die Zahlen zeigen, dass frauenpolitische Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik offensichtlich nicht so sehr am Herzen liegen, wie gerne suggeriert wird. Hier haben wir ein großes Defizit in der Politik und dringenden Handlungsbedarf. Die Grundlage dafür muss die Erkenntnis sein, dass Femizide keine Einzelfälle darstellen, sondern ein strukturelles Problem im Patriarchat sind.
Das Beispiel Spanien zeigt, dass auf dieser Basis eine Gesetzeslage geschaffen werden kann, die Frauen tatsächlich vor Gewalt schützt. Frauenrechte sind Menschenrechte und patriarchale Gewalt ist kein Frauenproblem!