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Gewalt gegen Frauen stoppen: Statistiken auszuwerten reicht nicht!

28. November 2022
Thema:Frauenrechte
Von:Sarah Kessler
Ein Mensch kennt im Durchschnitt 5000 Gesichter, davon sind in Deutschland knapp 51 Prozent weiblich, das macht also 2550 weibliche Bekannte. Davon haben durchschnittlich 850 bereits Gewalt durch einen (Ex-)partner erlebt. Wie viele Frauen, die Gewalt erleiden mussten, kennst du?

Alle Jahre wieder... nein, wir sind nicht in Weihnachtsstimmung und die Zahlen, über die wir in diesem Text reden, haben so gar nichts mit dem Fest der Liebe zu tun. Sie rücken die Menschen in den Fokus, die eigentlich als Safespace gelten sollten – Lebenspartner: Knapp 20 Prozent der Opfer, die in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst sind, sind Opfer von Gewalt in Partnerschaften. 

Am 25. November war der internationale Tag gegen patriarchale Gewalt. So wie in den vergangenen Jahren, erschien die kriminalstatistische Auswertung zur Partnerschaftsgewalt auch in diesem Jahr pünktlich zu dem Awareness-Day. Das Ergebnis: ernüchternd, mal wieder! Wir haben uns die Ergebnisse der neuen Statistik angeschaut und zeigen die wichtigsten Fakten: 

143.604 Fälle von Gewalt in Partnerschaften wurden für das Jahr 2021 polizeilich registriert. Über 80 Prozent der Opfer sind weiblich. Damit sank die Rate zwar leicht, um 2,5 Prozent zum Vorjahr, doch noch immer wird mehr Gewalt verzeichnet, als vor der Pandemie. Insgesamt stieg die Gewalt in den letzten fünf Jahren um 3,4 Prozent – und das sind lediglich die registrierten Fälle, also die Gewalttaten, die zur Anzeige gebracht wurden. Gerade beim Thema Gewalt in Partnerschaften liegt die Dunkelzahl weitaus höher. Tabus, (finanzielle) Abhängigkeiten und Schamgefühle machen es den Betroffenen schwer, sich irgendjemandem anzuvertrauen und Hilfe zu suchen. Nicht zuletzt, weil Eifersucht und männliches Besitzanspruchsdenken in unserer Gesellschaft noch zu oft als Zeichen von Liebe missdeutet werden. Dabei sind sie ein eindeutiger Ausdruck von Misogynie und dem patriarchalen System, in dem wir leben. Es ist genau dieses System, das jeden dritten Tag für eine Frau in Deutschland tödlich endet. 

113 Femizide wurden im letzten Jahr begangen

Versuchter Mord und Totschlag steht in Deutschland weiterhin an der Tagesordnung: 301 Tötungen – oder ihr Versuch – erfolgten 2021. 113 Frauen wurden von einem Mann getötet, nur weil sie Frauen sind. Diese Tötungen haben einen Namen: Femizide. Doch die geschlechtsspezifische Motivation bei Gewalttaten ist bislang strafrechtlich ein kaum relevanter Faktor. Denn politisch passiert seit Jahrzehnten wenig, dass den Schutz vor Gewalt verstärkt. Eine Instanz, die Frauen effektiv vor Gewalt schützt? Bisher Fehlanzeige! Immerhin, die aktuelle Bundesregierung hat sich dem Thema verpflichtet. Erste wichtige Schritte wurden hier eingeleitet: Im Juli stellte Justizminister Marco Buschmann einen Gesetzesentwurf vor, nach dem eine geschlechtsspezifische Motivation bei der Ausübung von Straftaten zukünftig strafverschärfend gewertet werden muss. Ein weiterer Meilenstein konnte Ende Oktober erzielt werden: Da zog Deutschland die letzten Vorbehalte gegen die Istanbul Konvention zurück, ein Übereinkommen des Europarats zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt. Ab Februar 2023 gilt es nun vollumfänglich. Was nach Symbolpolitik klingt war längst überfällig und hat eine große Tragweite: Laut Konvention müssen unter anderem nämlich ausreichend Frauenhausplätze zum Schutz vor Gewalt sichergestellt sein. In Deutschland fehlen aktuell rund 14.000 solcher Plätze. Hier muss dringend nachgebessert werden. Die Regierung verhandelt dafür einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen zur Finanzierung von Frauenhäuser – bisher ist diese noch Ländersache. 

Alle Jahre wieder zeigen die Zahlen der kriminalstatistischen Auswertung des BKA zur Partnerschaftsgewalt das gesammelte Ausmaß, der katastrophalen Gewaltschutzlage für Frauen. Besserungen waren lange nicht in Sicht, nun hat die aktuelle Regierung ein paar Steine gegen die patriarchale Gewalt in unserer Gesellschaft ins Rollen gebracht. Es bleibt abzuwarten, wann aus den geplanten Vorhaben und Entwürfe konkrete Maßnahmen entstehen. Denn einmal im Jahr Statistiken auszuwerten reicht nicht. Wir werden das weiter beobachten und berichten. 

Artikel geschrieben von:
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Sarah Kessler
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