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Klage gegen das syrische Regime vor dem Internationalen Gerichtshof

03. Juli 2023
Thema:Politische Gewalt
Von:Raze Baziani
Die Niederlande und Kanada verklagen das syrische Regime unter dem Präsidenten Baschar al-Assad vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag wegen schwerster Menschenrechtsverbrechen. Zu den angeklagten Punkten gehört laut dem niederländischen Außenminister Wopke Hoekstra neben der Anwendung von Folter auch die „abscheuliche Behandlung von Häftlingen, (…) gewaltsames Verschwindenlassen, sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalttaten und Gewalt gegen Kinder“. Auch der Einsatz von Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung wird angeführt. Etwas, das Syrien bisher immer wieder bestritten hat, obwohl die Organisation für das Verbot chemischer Waffen Nachweise für den Einsatz von Sarin- und Chlorgas offiziell festgestellt hat.

Schon in der Vergangenheit bemühten die Niederlande und Kanada Verfahren gegen Syrien. Grundsätzlich befasst sich eigentlich der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) mit der Ahndung von dem Verbrechen des Völkermords und jenen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und schließlich auch dem Verbrechen der Aggression.

Die Arabische Republik Syrien hat allerdings weder das Römische Statut unterzeichnet - etwas das Voraussetzung für das Tätigwerden des IStGH wäre - noch hat der Staat die Gerichtsbarkeit des IStGH anderweitig anerkannt. Dementsprechend kann der IStGH nur dann tätig werden, wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ihn dazu auffordert. Gegen derartige Bemühungen legte Russland in der Vergangenheit jedoch Veto ein.

Ein juristischer Coup

Nun ist der Niederlande und Kanada ein juristischer Coup gelungen. Syrien ist Vertragspartner der UN-Anti-Folter-Konvention, die einen Streitbeilegungsmechanismus hat, für welchen der IGH zuständig ist. Seit mehr als zwei Jahren bemühen sich die Niederlande und Kanada um eine Verhandlungslösung mit Syrien im Rahmen dieses Mechanismus. Dies blieb bisher ohne Erfolg, eröffnete aber dadurch den Weg zum IGH. Es liegt nun an diesem Gericht, sich der Klage nach Prüfung von dessen Zulässigkeit anzunehmen. Sollte ein Verfahren eröffnet werden, wäre es das erste Mal, dass das syrische Regime sich für die vielen Menschenrechtsverbrechen verantworten muss, die es in den letzten zwölf Jahren begangen hat.

Seit 2011 befindet sich Syrien in einem brutalen Bürgerkrieg, der laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte über 500.000 Menschen das Leben gekostet und etwa die Hälfte der Bevölkerung vertrieben hat. Über 130.000 Menschen werden ohne jede Spur vermisst. Nun verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution, mit der ein unabhängiges Gremium eingerichtet werden soll. Dieses soll untersuchen, was mit den Vermissten in Syrien geschehen ist. Die Resolution geht unter anderem auf die Initiative von Ahmad Helmi zurück, einem syrischen Aktivisten, der einst selbst Opfer des gewaltsamen Verschwindenlassens geworden war. 

Verschwindenlassen ist eine gängige Praxis in Syrien

Das Verschwindenlassen ist laut diversen Beobachter:innen eine gängige Praxis des syrischen Regimes. Genutzt als politisches Unterdrückungsmittel werden Menschen verschleppt, an geheimen Orten oder in Gefängnissen ohne offizielle Registrierung gefangen gehalten, gefoltert und nicht selten getötet. Das Verschwindenlassen gilt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, denn es betrifft nicht nur das Opfer, sondern hinterlässt auch dessen Angehörige in unendlicher Ungewissheit und damit verbundenen psychischen Qualen. Die Auswirkungen dieser Praxis haben darüber hinaus auch immense Folgen für die Gesellschaft als Ganzes. Es wird Angst verbreitet und Oppositionsbewegungen werden unmöglich gemacht. Das Vertrauen in politische Institutionen und Bewegungen wird erodiert und der Boden für ideologischen Extremismus genährt.

Unter den elf Stimmen gegen die Resolution der Vereinten Nationen befinden sich unter anderem Iran und Russland, die zwei engsten Verbündeten von al-Assad. Seit Jahren stützen sie mit politischem und militärischem Engagement das syrische Regime. Erst vor wenigen Tagen flog Russland Angriffe auf Idlib, einem Gouvernement mit gleichnamiger Hauptstadt im Nordwesten des Landes, das von islamistischen Milizen kontrolliert wird. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sollen dabei mindestens elf Menschen getötet worden sein, darunter mehrere Kinder. Es soll sich um den Luftangriff mit den meisten Todesopfern in diesem Jahr handeln. Die Organisation dokumentierte darüber hinaus alleine im Juni diesen Jahres den Tod von 271 Menschen als Folge des Bürgerkrieges. Darunter sollen 124 Zivilist:innen und 23 Kinder unter 18 Jahren gewesen sein.

Der Bürgerkrieg ist nicht das einzige Problem des Landes

Eine Aussicht auf Frieden und Sicherheit scheint für die Menschen in Syrien ferner denn je. Den Bürgerkrieg begleiten nämlich zunehmende Dürreperioden, Ernteausfälle, die Ausbreitung infektiöser Krankheiten wie Cholera und nicht zuletzt die desaströsen Folgen der Erdbebenkatastrophe im Februar diesen Jahres. Die Katastrophe hinterließ laut UNICEF eine halbe Million Syrer:innen ohne ein Zuhause. 

Während die Lage für die Bevölkerung des Landes immer prekärer wird, scheinen sich die politischen Außenbeziehungen al-Assads derweil zu stabilisieren und nicht mehr nur auf andere Autokratien zu reduzieren. Nach zwölf Jahren diplomatischer Isolation haben die Außenminister der Mitgliedstaaten der Arabischen Liga vor Kurzem beschlossen, Syrien wieder in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Unter Auflagen und zum Zwecke der Stabilisierung der Lage in dem Land, so wird es gesagt. Doch das syrische Regime beweist seit nun über einem Jahrzehnt mindestens, dass es sich an internationale Abkommen und Kooperation nur dann hält, wenn diese dem eigenen Machterhalt strategisch nützlich sind.

Auch deshalb sind die Bemühungen darum, das syrische Regime auf internationaler Ebene zur Rechenschaft zu ziehen, trotz ihrer begrenzten Wirkungsmacht und der langwierigen Prozesse unerlässlich. Wie sonst sollen die unzähligen Opfer Gerechtigkeit erfahren und die heranwachsenden Generationen auf eine sichere Zukunft hoffen?

Artikel geschrieben von:
Raze Baziani
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Eine Gruppe von Kindern, die während des 12 Jahre andauernden syrischen Bürgerkriegs unter schwierigen Bedingungen aufgewachsen sind, posieren am 14. März 2023 für ein Foto in der Zeltstadt in Idlib, Syrien. Im Bürgerkrieg waren viele Syrer, darunter vor allem Kinder, gezwungen waren, ihre Häuser zu verlassen.
© Muhammed Said/Anadolu Agency via Getty Images
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