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Kommentar zu Protesten in Israel: Gemeinsam für die Freiheit

27. März 2023
Thema:Rechtsstaatlichkeit
Von:Katharina Höftmann Ciobotaru
Wie oft habe ich dieses Land verflucht. 13 Jahre lang, mal mehr, mal weniger. Der Lärm. Der Müll. Das Chaos. Die Unfreundlichkeit. Der Krieg. Zu heiß. Zu kalt. Zu viel. Zu wenig. Wie oft hatte ich Heimweh, weil ich dachte, dieses Land ist zu hart für jemanden wie mich, der in Ruhe und mit frischer Luft aufgewachsen ist.

Wie oft habe ich dieses Land verflucht in den letzten gefühlt 330 Wahlgängen, bei denen immer nur das Gleiche herauszukommen schien: Das Land ist sich nicht einig. Und dann, bei der letzten Wahl im November 2022, eine Regierung, die für nichts, aber auch gar nichts, steht, was ich unterstützenswert finde. Die mich, als liberale Feministin nicht nur nicht repräsentiert, sondern die aktiv zerstört, was an diesem Land lebenswert ist.

Und auch in diesen Tagen fluche ich. Beobachte mit Entsetzen, wie der Premierminister dieses Landes die Demokratie zugrunde richtet. Aber zum Fluchen hat sich noch etwas anderes gesellt: Tiefster Respekt. Tiefster Respekt für die Teile des israelischen Volkes, die sich nicht unterkriegen lassen. Für diejenigen, die auf die Straße gehen. Die streiken. Die den Dienst verweigern. Die nicht müde werden, zu warnen und zu protestieren, egal ob Nobelpreisträger oder Busfahrer. Wie der ältere Mann mit weißer Kippa, der neulich in einem Fernsehbeitrag herzzerreißend in Worte fasste, was so viele in diesem Land denken: „Meine Eltern sind Auschwitz-Überlebende, ihre gesamte Familie ist in Auschwitz umgekommen. Ich habe marokkanische Enkelkinder, ich habe jemenitische Enkelkinder, ich habe 10 Enkelkinder. In mir ist dieses Land vereint, meine Familie ist das Volk Israel...Und er zerreißt uns. Nicht irgendjemand anderes. Derselbe Mann, seit 30 Jahren. Er, der Aschkenasim gegen Mizrachim ausspielt, Sfaradim gegen diese und jene, Säkulare gegen Religiöse, Araber gegen Juden. Er, der diese Leute Rechte und jene Linke nennt. Der einfach entscheidet, wer wir sein sollen. Und die Menschen glauben ihm. Ihm, der die Lügen bringt.“

Die Entschlossenheit, mit der sich Menschen in Israel gegen die Aushebelung der Demokratie entgegenstellen, ist zutiefst beeindruckend. Sie ist zutiefst berührend. Im Moment der Wahrheit ziehen große Teile des Landes am gleichen Strang. Als Benjamin Netanyahu den Verteidigungsminister Yoav Gallant, der die Regierung aufgefordert hatte, die Pläne zur Justizreform zum Halten zu bringen, plötzlich feuert, nehmen die Proteste eine neue Intensität an. Spontan gehen fast 200.000 Menschen im ganzen Land auf die Straße. Am nächsten Tag kündigt die Gewerkschaft mit Unterstützung von Supermarktketten, Banken, Krankenhäusern, Sicherheitschefs und anderen einen Generalstreik an, sollte die Regierung ihre Pläne für die Justizreform nicht stoppen. Es herrscht ein Zusammenhalt, der einzigartig ist. Egal, wie es weitergeht, dieses Gefühl, den Stolz auf den Kampfgeist in diesem Land, für die Demokratie, für die Freiheit, kann uns niemand nehmen.

In der kommenden Woche feiert Israel Pessach, den jüdischen Feiertag, der wie kein anderer der Freiheit gedenkt. Der Auszug aus der Sklaverei in ein Leben als freies Volk – das jüdische Volk würde nicht zum ersten Mal beweisen, dass es sich nicht unterkriegen lässt.

Artikel geschrieben von:
ecco_katharina_hoeftmann
Katharina Höftmann Ciobotaru
Autor:in
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