16. Januar 2023 | |
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Thema: | Politische Gewalt |
Von: | Ellen Nemitz |
Die Terroranschläge, die von den extremsten Anhänger:innen des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro verübt wurden, stehen der Invasion des amerikanischen Kapitols am 6. Januar in Nichts nach.
Nationale und internationale Institutionen sowie Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens haben den Aufstand in Brasilia getadelt, u.a. Amnesty International, das brasilianische Büro der Vereinten Nationen sowie UN-Generalsekretär António Guterres und Präsidenten mehrerer Länder wie beispielsweise US-Präsident Joe Biden.
Die Behörden bemühen sich, wieder Ruhe ins Land zu bringen. Der Angriff hatte mehrere Konsequenzen, darunter die vorübergehende Suspendierung des Gouverneurs des Distrito Federal - des Bundesstaates, in dem Brasilia liegt - und die ordnungsgemäße Untersuchung aller Personen, die sowohl an den Taten selbst als auch als Strippenzieher hinter den Kulissen beteiligt waren. Bolsonaros Situation ist jetzt noch komplizierter geworden: Zusätzlich zu einer Liste von Gründen, die ihn möglicherweise ins Gefängnis bringen könnten, erhöhen die jüngsten Ereignisse seine Chancen, angeklagt zu werden und damit seine politischen Rechte zu verlieren, eine Auslieferung von den USA kann, laut Expert:innen, jederzeit passieren.
Brasilien ist leider nicht das einzige lateinamerikanische Land, das Tage der Gewalt und Unruhen erlebt. Auch in Bolivien herrschen seit Dezember chaotische Zustände: Lastwagenfahrer:innen blockierten die Straßen, nachdem der rechtsgerichtete Politiker Luis Camacho verhaftet wurde, der nach der Absetzung von Evo Morales im Jahr 2019 wegen Terrorismus angeklagt ist. Die Ähnlichkeiten mit den Truckerprotesten in Brasilien nach den Wahlen im Oktober sind möglicherweise kein Zufall.
In Peru halten die Proteste ebenfalls an. Fast zwei Dutzend Menschen sind bereits gestorben, seit Pedro Castillos Versuch, den Kongress zu schließen, gestoppt wurde und Vizepräsidentin Dina Boluarte nach seiner Verhaftung die Präsidentschaft übernahm. Dennoch gehen weiterhin Menschen auf die Straße, um die Absetzung Boluartes und sofortige Neuwahlen zu fordern, was neue Konflikte mit der Polizei befürchten lässt.
Unterdessen hat der kolumbianische Präsident Gustavo Petro nach wie vor große Schwierigkeiten, einen echten, dauerhaften Waffenstillstand mit Guerillagruppen wie der ELN (Nationale Befreiungsarmee) zu erreichen, weswegen seine Friedenspläne für das Land weiterhin nicht implementiert werden können.
Da das Jahr 2023 mit beispiellosen Angriffen auf die Demokratie in Brasilien, gewaltsamen Unruhen in Bolivien, einem nicht anerkannten Führer in Peru und einem anhaltenden Guerillakrieg beginnt, steht Lateinamerika und seinen Bürger:innen wahrscheinlich ein weiteres politisch extrem herausforderndes Jahr bevor.
Titelbild von Rogério S.