25. Juli 2023 | |
---|---|
Thema: | Politische Gewalt |
Von: | Raze Baziani |
Anders als zuvor werden die Gefechte nicht nur in Sudans Peripherie ausgetragen, sondern auch in der Hauptstadt Khartum und anderen Millionenstädten. Schon vor Beginn der aktuellen Kämpfe waren im Sudan über 15 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Versorgungslage ist nun landesweit katastrophal, essentielle Güter fehlen, die Krankenhäuser in den Konfliktzonen sind nicht mehr funktionsfähig und viele Menschen sind auf der Flucht. Laut Unicef haben bereits über 1,7 Million Kinder ihr Zuhause verloren.
2019 WURDE DER STAATSPRÄSIDENT GESTÜRZT
In den Kämpfen stehen sich die sudanesischen Armee (Sudanese Armes Forces, kurz SAF) unter der Führung von Abdel Fattah al-Burhan und der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter dem Kommando seines einstigen Stellvertreters Mohamed Hamdan Dagalo gegenüber. Im Jahr 2019 hatten al-Burhan und Dagalo nach monatelangen Massenprotesten der Zivilbevölkerung gemeinsam den langjährigen Staatspräsidenten Omar al-Bashir, gestürzt. Dieser hatte selbst einst durch einen Staatsstreich die Macht im Land an sich gerissen und eine brutale Diktatur etabliert. In seiner fast dreißigjährigen Machtperiode löste er unter anderem das Parlament auf, verfolgte politische Gegner und unterdrückte ihm unliebsame Gruppen mit brutaler Gewalt. Während seiner Zeit führte er außerdem die Scharia, das islamische Recht ein, was Konflikte in dem multiethnischen und multireligiösen Land weiter schürte. Immer wieder führte es die Menschen im Sudan auf die Straßen gegen die brutale Staatsführung. Zuletzt im Jahr 2019 waren es insbesondere Frauen, die sich für grundlegende Menschenrechte und Gleichberechtigung einsetzten und dabei ihr Leben riskierten.
Die Machtkämpfe im Sudan sind über die koloniale, und damit verbunden ethnische und religiöse Dimension hinaus eingebettet in Verteilungskämpfe um wertvolle Ressourcen. Die wachsende Klimakrise verschärft die Kämpfe um verbleibendes fruchtbares Land.
KONTAKTE ZUR WAGNER-TRUPPE
Al-Bashir setzte einst seine Macht nicht nur durch das ihm unterstehende Militär um, sondern untersetzte im Laufe der Zeit auch verschiedene Milizengruppen seinem Kommando, wie die paramilitärische RSF. Mohamed Hamdan Dagalo wurde als Führer der RSF zu seinem Schutzpatron. Der Spitzname Hemedti unter dem er überwiegend bekannt ist, bedeutet aus dem Arabischen übersetzt „Verteidigung“. Al-Bashir gab Hemedti finanzielle Autonomie und erlaubte ihm, Teile von Darfurs Goldminen zu kontrollieren. Der Sudan ist auf dem afrikanischen Kontinent der drittgrößte Goldproduzent. Während sich al-Bashir so den Zugang zu Ressourcen im Land sicherte, baute Hemedti sich derweil ein eigenes Machtnetzwerk auf.
Mittlerweile soll er gute Beziehungen zur russischen Söldnergruppe Wagner haben, die ihrerseits Eigentümer eines sudanesischen Bergbauunternehmens sein und Hemedtis Einheiten mit Waffen beliefern sollen. Die Einflussnahme Russlands im Sudan ist nicht gering und wechselt die Seiten strategisch am Eigennutz orientiert. Einst unterstützte der Kreml noch den ehemaligen Diktator, wechselte aber dann über zur SAF, die al-Baschir stürzte, und ging schließlich über zur verfeindeten RSF-Miliz. Russland soll außerdem die Errichtung eines Marinestützpunktes am Roten Meer im Sudan planen und sich damit einen strategisch wichtigen Zugang zum afrikanischen Kontinent sichern. Immerhin ist der Sudan das flächenmäßig drittgrößte Land Afrikas.
ZAHLREICHE MENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN
Während al-Bashirs Führung wurden zahlreiche Menschenrechtsverbrechen begangen - lange ohne Konsequenzen. Seit 2009 wird al-Bashir jedoch vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) per Haftbefehl gesucht. Sein Fall war der erste, bei welchem der IStGH ein amtierendes Staatsoberhaupt anklagte. Juristische Gerechtigkeit ist oftmals langsam, während politische Gewalt in wenigen Augenblicken Leben sowie Existenzgrundlagen zerstören kann. Für die Menschen in Darfur sind es nun schon unzählig viele Augenblicke. Dieses Jahr jährtet sich der dortige Konflikt zum zwanzigsten Mal.
Gemäß Schätzungen der Vereinten Nationen fielen einst mehr als 300.000 Menschen dem Konflikt zum Opfer, während über 2,5 Millionen als Binnenvertriebene ihre Heimat verloren. Über 3000 Dörfer wurden zerstört. Nun hat sich die aktuelle Gewalt auch wieder auf Darfur ausgeweitet. Das UN-Menschenrechtsbüro teilte vor wenigen Tagen mit, dass in West-Darfur ein Massengrab mit mindestens 87 Menschen gefunden wurde. Darunter sollen ethnische Massalits sein, die seit jeher von gewaltvollen Massakern und Vertreibungen von insbesondere der Miliz der Janjaweed betroffen sind, die mit dem ehemaligen Diktator al-Bashir verbandelt waren. Am IStGH läuft seit 2020 das erste Verfahren speziell zur Situation in Darfur gegen Ali Abd-al-Rahman, einen hochrangigen Führer der berüchtigten Reitermilizen Janjaweed.
Nach al-Bashirs Sturz wurde eine Übergangsregierung installiert, die schrittweise die Macht bis zum Jahr 2022 an eine zivile Führung übergeben sollte. Doch dieses Versprechen wurde nicht eingehalten. Die RSF und SAF übernahmen nach einem weiteren Coup gegen die Übergangsregierung 2021 wieder die Macht. Ausgerechnet die zwei Gruppen, die für gravierende Verbrechen gegen die Bevölkerung verantwortlich waren und noch sind, führen nun das Land. Seitdem kämpfen der SDF und RSF um die Vorrangstellung im Land - zum Leidwesen der Bevölkerung.
Trotz all der Geschehnisse im Sudan wird wenig über das Land berichtet. Es scheint, als seien wir desensibilisiert gegenüber den Geschehnissen im Land, als fänden wir den Zustand der Gewalt „normal“. Doch mediale Stille materialisiert sich früher oder später auch in politischer Passivität. Soll der Sudan künftig nicht als failed state in endloser Gewalt erstarren, ist es erforderlich, den jahrelangen Anstrengungen der sudanesischen Zivilbevölkerung Rechnung zu tragen und in Friedensbemühungen nicht wiederholt Gewaltakteuren die Hauptrolle zuzuschreiben. Denn nur die sudanesische Zivilgesellschaft hat den Willen zu einer friedlichen politischen Neuordnung über all die Jahre hinweg bewiesen.