14. Juli 2022 | |
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Thema: | Nachhaltige Entwicklung |
Von: | Frank Odenthal |
Das Solar Canal Project, ein kilometerlanges Netz von Bewässerungskanälen in Kalifornien, das zur Erzeugung erneuerbarer Energie genutzt werden soll, zeichnet sich als eine vielversprechende Lösung für viele ökologische Herausforderungen ab.
FairPlanet sprach mit Roger Bales, Professor für Ingenieurwesen an der Universität von Kalifornien und Forscher am Solarkanalprojekt.
FairPlanet (FP): Erzählen Sie uns, worum es beim Solarkanalprojekt geht.
Roger Bales (RB): Das Anbringen von Solarzellen auf den Kanälen ist eine Infrastrukturverbesserung mit mehreren Vorteilen für diese offenen Kanäle, die eine bereits gebaute Infrastruktur darstellen, und die wir nutzen können, um weitere Infrastrukturen hinzuzufügen. Zu den zahlreichen Vorteilen gehören die Verringerung der Wasserverdunstung und die Anbringung von Sonnenkollektoren auf bereits für solche Dinge genutztem Land, anstatt natürliche Flächen oder produktives Ackerland aus der Produktion zu nehmen.
In Kalifornien und anderen Orten dienen die Kanäle außerdem als Stromtrassen, es ist äußerst praktikabel, ihre Verteilungsleitungen zu nutzen, um den erzeugten Strom zu den Verbrauchern zu bringen. Mancherorts kann der erzeugte Strom auch genutzt werden, ohne ihn in das Netz einzuspeisen.
Eine weitere große Verbesserung besteht darin, dass das Sonnenlicht bis zu einem gewissen Grad vom Kanal ferngehalten wird, was bedeutet, dass weniger Wasserunkraut und Algen wachsen. An manchen Orten ist es sehr teuer, diese zu beseitigen. An anderen Orten führen sie zu Problemen mit der Wasserqualität, wenn das Wasser flussabwärts zur Trinkwassergewinnung verwendet wird. In Kalifornien werden zwar die meisten Kanäle für Bewässerungszwecke genutzt, aber es gibt auch ein paar wichtige Kanäle, über die Trinkwasser in die Städte geleitet wird.
Und schlussendlich hat die Verdunstung von Wasser eine kühlende Wirkung, was in diesem Fall bedeutet, dass die Solarpaneele durch das darunter verdunstende Wasser gekühlt werden, wodurch sie tendenziell effizienter arbeiten. Das hängt natürlich von dem Material und der Technologie ab, die Sie für Ihre Solarmodule verwenden.
EINE VERBESSERUNG DER INFRASTRUKTUR MIT VIELEN VORTEILEN
FP: Was war die Inspiration für das Projekt?
RB: Wir haben mit einer Studie, die wir vor einem Jahr veröffentlicht haben, die wirtschaftliche Machbarkeit aufgezeigt und festgestellt, dass die rund 6.500 Kilometer offene Kanäle in Kalifornien ein großes Potenzial für die Erzeugung erneuerbarer Energie auf diesen Flächen bieten. Nach dem Nachweis der Machbarkeit mussten wir einen Testdurchlauf für ein solches Projekt starten, denn so etwas gab es bisher weder in Kalifornien noch in den USA. Dieser wurde in Indien durchgeführt, auch in Europa befinden sich einige Prototypen in der Entwicklung, aber die einzigen, von denen wir wissen, dass sie bereits gebaut wurden, sind in Indien.
Jetzt bauen wir also einen Prototyp im Rahmen eines Zwanzig-Millionen-Dollar-Projekts. Da es sich um den ersten Prototyp handelt, sind umfangreiche Konstruktions- und Planungsarbeiten erforderlich, und wir führen parallel dazu Forschungsarbeiten durch. Wir arbeiten mit dem ältesten Bewässerungsbezirk in Kalifornien, dem Turlock Irrigation District, zusammen, der im Zentraltal gelegen ist.
Das kalifornische Zentraltal liefert einen großen Teil der Lebensmittel unseres Landes (mehr als ein Drittel des Gemüses und zwei Drittel der Früchte und Nüsse) und produziert eine Menge Lebensmittel für den Export, und daher ist es ein Gebiet, das jedes bisschen Wasser braucht, das es bekommen kann, weil wir mehr Land als Wasser für die Bewässerung haben. Die Verdunstungseinsparungen, auch wenn sie gering sind, könnten für den Anbau von mehr Nahrungsmitteln genutzt werden.
FP: Wie sieht die aktuelle Situation in Kalifornien in Bezug auf die Wasserknappheit aus?
RB: Ganz Kalifornien hat ein so genanntes Mittelmeerklima, was bedeutet, dass die Niederschläge in der kühlen Jahreszeit, also im Winter, fallen. Der Sommer, die Wachstumsperiode, ist hingegen ziemlich trocken. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge in Kalifornien liegt bei etwa einem Meter, das sind zwei Drittel des weltweiten Durchschnittsniederschlags. Wir haben also insgesamt ein halbtrockenes Klima.
Das meiste Wasser kommt aus den Bergen, weil wir ein starkes Niederschlagsgefälle haben. Das Wasser wird dann in den Flüssen aufgefangen, die abwärts fließen, hinter Dämmen gespeichert und ins Grundwasser geleitet. Im Sommer wird es dann abgepumpt oder zur Nutzung weitergeleitet. So erhalten wir unseren Frühjahrsabfluss aus den Bergen, wenn der Schnee schmilzt und der Regen abfließt.
Das Problem ist, dass es mehr potenziell landwirtschaftlich nutzbare Flächen gibt, die bewässert werden könnten, als Wasser vorhanden ist. Etwa achtzig Prozent des kalifornischen Wassers werden für die Bewässerung verwendet, und derzeit befinden wir uns im dritten Jahr einer Dürre. Um den Wasserverbrauch in der Gemeinde zu senken, hat unser Gouverneur gerade eine Verordnung erlassen, nach der kein Ziergras und keine Zierpflanzen mehr bewässert werden dürfen. Und ich gehe davon aus, dass es noch weitere Einschränkungen geben wird.
FP: Ich nehme an, das ist alles eine Folge des Klimawandels?
RB: Ja. Die Erwärmung hat mehrere Folgen: Zum einen wird das Wasser, das in den Bergen fällt, stärker von den Wäldern genutzt, weil die Vegetationsperiode bei einem wärmeren Klima länger ist. Zweitens fallen größere und intensivere Niederschläge, und wir können nicht das ganze Wasser, das auf einmal herunterkommt, auffangen. Für den Hochwasserschutz müssen wir das Wasser also in den Ozean ablassen. Und drittens brauchen die Menschen im Zentraltal mehr Wasser für den Anbau von Nahrungsmitteln, wenn es wärmer ist. Es sind also sowohl die Nachfrage- als auch die Angebotsseite, die unter der Klimaerwärmung leiden, und das ist unsere neue Realität hier in Kalifornien.
FP: Unterstützen die Nachbargemeinden die Initiative, die Kanäle mit Solarzellen zu bedecken?
RB: Ja, ich denke, bisher gibt es eine gute öffentliche Unterstützung. Es gibt auch eine gesunde Skepsis, denn die Installation von Solarzellen auf Kanälen kostet mehr als die Installation von Solarzellen auf einem offenen Feld. Wenn man das Feld bereits besitzt und Sonnenkollektoren anstelle von Feldfrüchten anbringen will, muss man das Land nicht kaufen.
Aber wenn man erst das Land kaufen muss, sind die Kosten enorm. Es gibt auch große Unterstützung von Seiten des Naturschutzes, der in Kalifornien sehr stark ist, weil wir keine natürlichen Flächen nehmen und in Infrastruktur umwandeln wollen. Wir wollen bis 2030 etwa 30 Prozent unseres Landes und unserer Küstengewässer wegen ihrer Wichtigkeit für die biologische Vielfalt unter Naturschutz stellen. Dies wurde von den Vereinten Nationen als „Thirty-by-thirty“-Initiative initiiert. Auch der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom und Präsident Biden haben diese 30 x 30-Zusage gemacht. Gegenwärtig stehen in Kalifornien etwa vierundzwanzig Prozent der Flächen unter Naturschutz.
UNTERSTÜTZUNG KALIFORNIENS BEI DER ERREICHUNG SEINER 2030-ZIELE FÜR ERNEUERBARE ENERGIEN
FP: Könnten Sie einige Zahlen zu den geplanten Eckdaten und Auswirkungen des Projekts nennen?
RB: Ich habe noch keine Zahlen für unser Prototyp-Projekt, da es sich noch in der Planungsphase befindet. Aber wenn wir alle Kanäle in Kalifornien abdecken würden, könnten wir schätzungsweise dreizehn Gigawatt an Stromerzeugungskapazität bereitstellen. Das ist etwa die Hälfte dessen, was Kalifornien benötigt, um seine Ziele für erneuerbare Energien bis 2030 zu erreichen.
Außerdem würden laut unserer oben erwähnten Studie jährlich 63 Milliarden Gallonen Wasser durch Verdunstung eingespart, wenn wir alle Kanäle abdecken. Das ist genug Wasser für die Bewässerung von 50.000 Hektar Ackerland. Es ist auch genug, um eine Stadt mit zwei Millionen Einwohnern ein Jahr lang zu versorgen. Bei dem Prototyp geht es jedoch zunächst nur um drei oder vier, fünf Meilen.
FP: Gehören diese Kanäle der Regierung oder sind sie in Privatbesitz?
RB: Sie befinden sich im Besitz öffentlicher Einrichtungen. Wir haben zwei sehr große Kanäle, die vom Sacramento-Delta bis zum San-Joaquin-Delta verlaufen, wo alle Flüsse aus den Bergen der Sierra Nevada zusammenfließen, und diese Kanäle führen hinunter zur Südküste Kaliforniens, nach Los Angeles und San Diego.
Diese Kanäle sind 45 is 60 Meter breit und versorgen die Kommunen sowie einige Bewässerungsanlagen mit Wasser. Das bedeutet, dass sich etwa zehn bis fünfzehn Prozent unserer Kanäle im Besitz des Staates oder der Bundesregierung befinden und für diese größeren Zwecke genutzt werden. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Bewässerungsbezirke, die vor allem für die Versorgung der Landwirte mit Bewässerungswasser und die lokale Stromversorgung gegründet wurden.
FP: Sind über Kanälen angebrachte Solarmodule einfach zu warten?
RB: Normalerweise sind Solarmodule nicht sehr wartungsintensiv. Hoffentlich wäscht das Regenwasser den Staub von ihnen ab. Wir wissen nicht, wie es sich auf die Tierwelt auswirkt, wenn zum Beispiel viel Vogelkot auf die Module fällt. Wir erwarten keine Probleme mit Korrosion oder Staubansammlungen. Wir gehen davon aus, dass die Solarmodule über den Kanälen den Wartungsaufwand für die Kanäle verringern werden. Wir müssen sie nur so konstruieren, dass die Kanalbetreiber im Falle von Wartungsarbeiten immer noch den nötigen Zugang haben.
Bei kleineren Kanälen sollte man sie so gestalten, dass sie zumindest auf einer Seite zugänglich sind, vielleicht nicht auf beiden Seiten der Kanäle. Bei einigen mittelgroßen Kanälen kann der Zugang von beiden Seiten wichtig sein. Die größten Kanäle wollen wir derzeit noch nicht einbeziehen, weil wir zunächst Erfahrungen mit den kleineren Kanälen sammeln wollen.
FP: Wer leitet das Projekt und mit wem arbeiten Sie zusammen?
RB: Ich bin als Forscher an dem Projekt beteiligt. Die Universität von Kalifornien führt die Bewertung durch. Der Projektentwickler ist ein Start-up-Unternehmen namens Solar Aquagrid, das im öffentlichen Interesse arbeitet. Sie haben die Finanzierung des Prototyps gemeinsam mit dem Staat gewährleistet.
Das kalifornische Ministerium für Wasserressourcen finanziert das Projekt mit allgemeinen staatlichen Mitteln, die von der Legislative und dem Gouverneur genehmigt wurden. Und der Turlock Irrigation District ist der Betriebspartner.
"LANGFRISTIG HOFFEN WIR, DASS SICH EIN SOLCHES PROJEKT SELBST FINANZIEREN KANN."
FP: Wie lange wird es dauern, bis das Projekt betriebsbereit ist?
RB: Im Moment befinden wir uns in der Vorentwurfsphase, und wir hoffen, dass die Bauarbeiten im Herbst beginnen und bis Ende des Jahres abgeschlossen sein werden, aber wahrscheinlich wird es noch bis Januar oder Februar dauern. Danach wollen wir eine zweijährige Evaluierung durchführen, so dass unser Prototyp-Projekt noch zweieinhalb Jahre laufen wird.
Gleichzeitig werden wir im Rahmen unserer Forschungsarbeiten eine Skalierungsstrategie entwickeln, die unseren derzeitigen Wissensstand einbezieht, und dann, wenn wir aus dem Prototyp neue Erkenntnisse gewinnen, werden wir diese nutzen, um eine Strategie für das weitere Vorgehen zu entwickeln.
Die Solaranlage, die wir jetzt errichten, wird viele Jahre lang Strom produzieren und andere Vorteile bringen. Langfristig hoffen wir, dass sich die Ausweitung dieser Art von Projekten selbst finanzieren kann, da sie Stromeinnahmen und andere Vorteile generieren kann. Wir untersuchen auch, wie man die Energiespeicherung mit Solarzellen auf den Kanälen koppeln kann, damit der Turlock Irrigation District den Strom in sein Netz einspeisen kann, wenn er ihn braucht.
Roger Bales ist ein anerkannter Professor für Ingenieurswissenschaften an der University of California, Merced.