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TAIWAN VERPFLICHTET SICH, BIS 2050 NETTO NULL ZU ERREICHEN

16. April 2023
Thema:Nachhaltige Entwicklung
Von:CHERMAINE LEE
Die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-wen hat im vergangenen Monat ein historisches Klimaschutzgesetz unterzeichnet, mit dem die selbstverwaltete Insel ihr Netto-Null-Ziel bis 2050 erreichen soll. Aber die relative Nachsicht gegenüber dem schmutzigen Industriesektor alarmiert Expert:innen.

Obwohl das bahnbrechende Gesetz zur Bekämpfung des Klimawandels weithin als bedeutender Schritt in Taiwans grünem Engagement angesehen wird, warnen Expert:innen und Nichtregierungsorganisationen, dass noch mehr getan werden muss.

Das Gesetz setzt ein rechtlich verbindliches Ziel für die Insel, bis 2050 keine Treibhausgasemissionen mehr zu verursachen, und reagiert damit auf das Pariser Abkommen von 2015, das den Anstieg der globalen Temperatur auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau begrenzen soll. Und das, obwohl Taiwan aufgrund seines langjährigen Souveränitätskonflikts mit Peking, das das selbstverwaltete Taiwan als Teil der Volksrepublik China betrachtet, von der jährlichen UN-Klimakonferenz ausgeschlossen ist.

Das neue Gesetz sieht unter anderem die Einführung eines Kohlenstoffpreissystems, die Umsetzung von Klimaanpassungsmaßnahmen und die Festlegung der jeweiligen Zuständigkeiten der Ministerien bei der Emissionsreduzierung vor. Im Rahmen der Energiewende plant Taiwan, den Anteil der erneuerbaren Energien am Energiemix bis 2025 auf 20 Prozent und den Anteil von Erdgas auf 50 Prozent zu erhöhen sowie den Anteil von Kohle auf 30 Prozent zu reduzieren.

Derzeit dominiert die Kohle noch immer die Kohlenstoffemissionen der Insel, obwohl sie nur etwa ein Drittel der Stromerzeugung ausmacht.

HERAUSFORDERUNGEN DER ENERGIEWENDE

Huisun Tsai, Kampagnendirektorin für Energiewende und Klimawandel bei Citizen of the Earth Taiwan, erklärt gegenüber FairPlanet, dass es unvermeidlich ist, sich bei der Energiewende auf Erdgas zu verlassen.

„Die taiwanesische Regierung hat mit verschiedenen Ländern Verträge über den Kauf von Erdgas abgeschlossen, um den Brennstoff angesichts der durch den Ukraine-Krieg verursachten Verknappung zu sichern“, so Tsai.

Der Anstieg des Erdgasverbrauchs könne jedoch nicht unbegrenzt weitergehen, fügte sie hinzu. „Es gibt einen Punkt, an dem der Verbrauch sinken muss, aber ab welchem Jahr wird er sinken? Die Regierung hat dieses Ziel noch nicht festgelegt.“

Auf der Insel wird immer wieder über die Nutzung der Atomkraft diskutiert, um Taiwans Emissionsziele zu erreichen, da sie die einzige saubere Energiequelle ist, die einen zweistelligen Anteil am Energiemix des Landes hat. Die regierende Demokratische Fortschrittspartei hat versprochen, bis 2025 aus der Kernenergie auszusteigen, der Widerstand gegen ihre Wiedereinführung ist ebenfalls groß.

„Taiwan hat einen geografischen Nachteil gegenüber Ländern in Europa oder Nordamerika“, erläutert Tsai, deshalb ist es für das Land nicht einfach, Kernenergie zu nutzen. „Taiwans Land ist knapp, [und] es ist schwer für uns, genügend Platz für die Lagerung von Atommüll zu schaffen. Und ohne Platz für neue Brennstoffe können die Kernkraftwerke auch keinen Strom erzeugen.“

Taiwan ist außerdem anfällig für Erdbeben und Überschwemmungen, was eine Bedrohung für die sechs Kernenergiereaktoren auf der Insel darstellt. Die Angst vor ähnlichen Unfällen wie bei der Nuklearkatastrophe von Fukushima in Japan im Jahr 2011 hat in Taiwan zu zahlreichen Protesten gegen die Nutzung von Kernenergie geführt. Im Jahr 2021 lehnte eine Mehrheit der Wähler:innen einen Vorschlag zur Wiederaufnahme des Baus von zwei Reaktoren ab.

Die Entwicklung von Solar- und Windenergie wird im Rahmen des taiwanesischen Netto-Null-Umstellungsplans gestärkt, wobei beide bis 2050 mindestens 40 Gigawatt erreichen sollen. Zu den Maßnahmen gehören Anreize für die Installation von Solarmodulen auf Hausdächern und ungenutzten landwirtschaftlichen Flächen, das Recycling von Modulen und die Entwicklung schwimmender Technologien zum Ausbau von Offshore-Windparks.

Laut Kuei Tien Chou, Direktor des Forschungszentrums für Risikogesellschaft und -politik an der National Taiwan University, wird es jedoch eine Herausforderung sein, die Bedürfnisse der verschiedenen Interessengruppen unter einen Hut zu bringen.

„Wir haben exklusive Zonen für Fischer“, erklärt er gegenüber FairPlanet. „Und es gab Widerstand von der Gruppe sowie von Umweltgruppen wegen der Sicherheit der Küstengebiete und der Lebensgrundlage der gefährdeten Indopazifischen Buckeldelphine. Die Regierung muss mit der Gemeinschaft verhandeln.“

GROSSE VERSCHMUTZER

Von großer Bedeutung ist auch die Einführung von Kohlenstoffpreisen im Rahmen des Netto-Null-Gesetzes, die große Verschmutzer stufenweise belasten, sowie Kohlenstoffzölle auf importierte Produkte erhebt. Die Einnahmen werden zur Finanzierung von Technologien zur Emissionsminderung und zur lokalen Förderung grüner Maßnahmen verwendet.

Die beiden Expert:innen begrüßten den Schritt, meinten aber, dass darüber hinaus eine Kohlenstoffsteuer für eine stärkere Wirkung notwendig sei.

„Die Kohlenstoffsteuer wird ab 2024 obligatorisch sein, aber sie wird hauptsächlich von der Umweltschutzbehörde erhoben“, sagt Chou. „Das bedeutet, dass der Umfang geringer ist, als wenn das Finanzministerium ein Kohlenstoffsteuersystem einführt.“

Der Industriesektor, einschließlich Zement, Petrochemie, Stahl, Textilien und elektronische Maschinen, ist für die Hälfte der gesamten Kohlenstoffemissionen der Insel verantwortlich. In den Übergangsstrategien sollen Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und von Wasserstoffenergie zur Verringerung der Emissionen zur Anwendung kommen, aber Kritiker bemängeln, dass das neue Gesetz keine konsequenten Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen des Sektors vorsieht.

„Wir halten es für unangemessen, dass es bisher keine Strategie zur Verringerung der Emissionen der Industrie gibt... Ich finde das sehr seltsam“, kommentiert Tsai diesen blinden Fleck des Klimaschutzgesetzes.

„Wir haben die Behörden gedrängt, eine Strategie zu verabschieden, die die Industrie zu einer Änderung ihres Betriebsmodells zwingt, aber sie waren nicht bereit dazu. Das bedeutet, dass Organisationen wie unsere die Aufgabe der Überwachung übernehmen müssen.“

Auch der Einsatz von Technologien zur Kohlenstoffabscheidung sei nicht sicher, sagt sie.

„Die Technologie [zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung] ist noch nicht ausgereift, so dass es noch ungewiss ist, ob sie tatsächlich [skaliert] werden kann und bis 2030 zur Reduzierung der Emissionen beiträgt. Das ist ein Risiko. Viele Unternehmen [in diesen Branchen] verlassen sich auf diese Zukunftstechnologie, aber können sie auch in kohlenstoffarme Anlagen investieren?“

KLIMAPROZESSE

Kritiker:innen des neuen Gesetzes und der Strategien weisen auch darauf hin, dass kein Gericht für Klimaprozesse eingerichtet wurde, das Bürger:innen die Möglichkeit geben würde, Umweltbeschwerden vorzubringen.

„Klimaprozesse können vielleicht nicht unmittelbar zur Lösung der damit verbundenen Konflikte beitragen, aber die Menschen können auf diese Weise das Bewusstsein für den Klimawandel schärfen“, erklärt Tsai. „Wir glauben, dass ein Gericht für Klimaprozesse den Anwohner:innen die Möglichkeit geben kann, mit verschiedenen Interessengruppen und der Regierung darüber zu sprechen, wie die Politik angepasst werden kann.“

Doch trotz laufender Kampagnen von Umweltgruppen wie Greenpeace wurde diese Bestimmung aus dem Gesetz gestrichen.

„Die Regierung ist in dieser Hinsicht recht konservativ, da sie glaubt, dass dies [die Einrichtung eines Klimagerichts] rechtliche Probleme nach sich ziehen wird“, erklärt Chou.

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CHERMAINE LEE
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Im Rahmen der Energiewende plant Taiwan, den Anteil der erneuerbaren Energien am Energiemix bis 2025 auf 20 % und den Anteil von Erdgas auf 50 % zu erhöhen sowie den Kohleanteil auf 30 % zu senken.
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Arbeiter inspizieren einen Stromkasten unter den Solarmodulen einer Solaranlage von Vena Energy in Yunlin County, Taiwan, am 26. Juli 2018.
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